Mit 31,49 Millionen Einwohnern gehört Peru zu den bevölkerungsreichsten Ländern Lateinamerikas (Stand November 2016, Auswärtiges Amt). Über ein Drittel der Bevölkerung (ca. 9,9 Mio. Menschen) lebt in der Hauptstadt Lima (mit der Hafenstadt Callao) – die Dunkelziffer an Einwohnern in Lima ist aber wahrscheinlich deutlich höher. Lima strahlt nach wie vor eine starke Anziehungskraft – insbesondere für Menschen aus ländlichen Regionen – aus. Viele Menschen verbinden mit der „Flucht“ nach Lima Arbeit und bessere Lebensumstände oder verlassen ihre Heimatregionen aufgrund von aktiven Terrorgruppen, wodurch nach wie vor die Bevölkerungszahl von Lima enorm steigt.
Auch wenn nach Angaben der Weltbank 2004 noch 58,7 % der peruanischen Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze lebte und 2013 nur noch 23,9 Prozent (Quelle: www.bmz.de), ist die Ungleichheit zwischen städtischen und ländlichen Gebieten immer noch enorm. Und die Konsequenzen davon sind in Lima – wenn man seine Augen nicht ganz verschließt und sich ausschließlich in den wohlhabenden Touristengebieten aufhält – sehr deutlich.
Cerro San Cristobal ist ein 409 m hoher Hügel (span. cerro) im Nordosten von Limas Altstadt, der auf seiner Spitze einen Aussichtspunkt (mirador) hat. Ein riesiges Kreuz, welches 1928 gebaut wurde und in der Nacht hell erleuchtet strahlt, steht auf der Spitze des Berges – ein Markenzechen von Lima, zu dem u. a. zu Ostern (Semana Santa) zahlreiche Menschen pilgern. Während man ansonsten einen Aussichtspunkt mit der Hoffnung verbindet, eine Stadt in ihrer ganzen Pracht aus der Vogelperspektive betrachten zu können - wie es zum Beispiel bei Cusco der Fall ist - war uns von vorne herein klar, dass dies beim Cerro San Cristobal nicht so sein wird.
Wir wollten bewusst aus unserer Touristenblase ausbrechen und auch einen Teil des sonst für uns verborgenen Limas sehen – ohne aber ein zu großes Risiko einzugehen, da man einige Stadtteile in Lima aufgrund der enormen Kriminalität dort wirklich nicht alleine oder besser gar nicht besuchen sollte. Unsere Tour zum Cerro San Cristobal hat uns die enorme Ungleichheit von arm und reich in Lima vor Augen geführt und uns sehr nachdenklich werden lassen.
Oben auf dem Hügel angekommen, erwartete uns ein großer grauer Parkplatz, wenige Stände die Snacks und Kerzen zum Niederlegen am großen Kreuz anbieten. Alles zunächst einmal sehr unspektakulär. Nichtsdestotrotz blieb uns ein Kloß im Hals stecken, als wir auf der Spitze des Cerro San Cristobal angekommen waren. Da wir im September in Lima waren – was einen Wintermonat dort darstellt – wurde die Stadt in eine graue Nebelhülle getaucht, die trotzdem einen guten Blick auf die unfassbar große Metropole Lima zuließ.
Man kann die Tour auch am Abend machen, und somit die Möglichkeit haben Lima hell erleuchtet in der Dunkelheit zu betrachten. Wir haben uns bewusst für eine Tour am Tag entschieden, um die Umgebung von Cerro San Cristobal etwas genauer betrachten zu können. Vom Aussichtspunkt aus konnten wir einen ersten Eindruck von der großen Armut in Lima bekommen.
Es gibt – ähnlich wie es in Brasilien die Favelas sind – zahlreiche Armenviertel in Peru, die beschönigender Weise pueblos jóvenes, d. h. junge Dörfer, genannt werden. In diesen Regionen ist die Armut und damit einhergehend die Kriminalität in Lima am größten, die Menschen leben in Papp- oder Holzhütten oder wie es unterhalb vom Cerro San Cristobal der Fall ist in bunt angestrichenen Steinhäusern, die oft keine Dächer oder lediglich provisorische Wellblechdächer besitzen. Die bunten Farben dieser Häuser strahlen eine gewisse Freude aus, können einen doch aber auch schnell darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen dort ohne fließend Wasser Strom oder ausreichend Nahrung auskommen müssen.
Das niemals zu enden wollende Häusermeer, welches wir vom Cerro San Cristobal sehen konnten, macht deutlich, dass Lima eine Stadt ist, die an ihren Grenzen aus allen Nähten platzt und in denen Menschen in Armut und Kriminalität versinken, während in den wohlhabenden Vierteln in den besten Restaurants der Welt gespeist wird. Wir empfehlen euch wirklich die Tour auf diesen Aussichtspunkt, sie hat uns nachdenklicher zurückgelassen und es uns ermöglicht über den Tellerrand der „heilen Touristenwelt“ in Lima zu blicken.
Im Bezug auf die Kriminalität liegt Peru in Mittel- und Lateinamerika eher im Mittelfeld. Stephan von Latin-Mag hat in einem Artikel die gefährlichsten Städte Lateinamerikas zusammengestellt. In Lima gehören insbesondere der Norden (da wo unsere Tour hinging) sowie die Stadtteile Callao (wo der internationale Flughafen und der Hafen liegt), La Victoria und San Martin de Porres zu den gefährlichsten Stadtteilen. Es ist nicht so, dass wir diese Tour vollkommen naiv angetreten sind, wir wollten einen Einblick in die Lebensverhältnisse von Tausenden von Peruaner*nnen bekommen.
Auf dem Plaza de Armas, auf der linken Seite des Präsidentenpalasts (wenn man vor ihm steht) steht meist eine kleine Frau mit einem Schild mit der Aufschrift „San Cristobal“, die die Fahrkarten zum Cerro San Cristobal verkauft. Sie führt einen zum Kleinbus, der einen auf die Aussichtsplattform bringt und der in einer belebten Seitenstraße vom Plaza de Armas steht. Im Mai 2015 hat die Hin- und Rückfahrt pro Person 5 Soles (ca. 1,50 €) gekostet. Die gesamte Tour dauert ca. 3 Stunden – ca. 40 Minuten für jeweils die Hin- und Rückfahrt und dann gibt es ausreichend Zeit zum Aufenthalt auf der Spitze des Hügels.
Die Fahrt wird in einem Kleinbus durchgeführt, der erst dann abfährt, wenn er voll ist und das kann man auch wörtlich nehmen. Als alle (sichtbaren) Sitzplätze besetzt waren, haben wir uns schon auf die Abfahrt gefreut. Aber weit gefehlt, da sind die Peruaner*innen doch schlaue Füchse. An der Seite einer Sitzplatzreihe zum Gang hin war es möglich einen weiteren Sitzplatz auszuklappen, sodass am Ende tatsächlich der gesamte Kleinbus bis auf den letzten Zentimeter gefüllt war. Ein bisschen mulmig war uns dabei am Anfang schon, da es so keine Möglichkeit mehr gab, aus dem Kleinbus zu gelangen, ohne über irgendjemanden drüberzusteigen. Der Bus war also voll, einige Fahrgäste – außer uns fast ausschließlich Peruaner*innen – hatten ihr obligatorisches Popcorn bereits ausgepackt (was ein wenig Erinnerungen an ein Kino erzeugte) und schon ging die Fahrt los.
Vorbei am Plaza de Armas und den ihn umgebenden farbenprächtigen Kolonialbauten. Von dort geht die Fahrt Richtung Norden weiter und langsam den Hügel empor. Die Straße ist zum Teil sehr eng, sodass auf den zügig fahrenden Gegenverkehr schon sehr acht gegeben werden muss, die Straße hat teilweise sehr große Risse und beim Blick aus dem Fenster direkt in den Abgrund nur ein paar Zentimeter neben einem, wurde uns schon ein wenig mulmig.
Bereits einige Minuten nach Abfahrt vom prächtigen Plaza de Armas verändert sich das Stadtbild – keine klassischen Supermärkte mehr, die Häuserfassaden sind nicht mehr so in Stand gehalten, mehr Müll liegt auf den Straßen. Der Tourguide spricht unaufhörlich in rasendem Spanisch über Lima und seine Sehenswürdigkeiten - wir verstehen nur Bruchstücke. Aber spätestens bei dem Satz „Please close the window, it’s dangerous here!“ – der an uns gerichtet war – war klar, dass wir uns nicht auf einer typischen Touritour befanden. Wir erinnerten uns, dass ein paar Tage vorher jemand mit purem Ernst zu uns gesagt hat, dass in den Armenvierteln, welche sich zunehmend am Rand von Lima bilden – kaum ein Taxi freiwillig hinfährt, die Autos in diesen Vierteln überwiegend aus gestohlenen Teilen bestehen und einem dort nicht nur die Uhr geklaut wird, sondern gleich der Arm mit abgehackt wird.
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Wir freuen uns, dass wir mit diesem Artikel an der Blogparade von Paul von adventureluap zum Thema "Mein nachdenklichstes Erlebnis auf Reisen" teilnehmen. Schaut dort doch einfach mal vorbei, es gibt sehr viele spannende Beiträge.